Kernfusion: faszinierende Forschung, aber zu spät für die Energiewende

Die Kernfusion birgt das Versprechen einer sauberen Energieerzeugung im großen Stil ohne großen Rohstoffaufwand. Doch wie weit ist die Kernfusion von der Verwirklichung und vor allem von der energiewirtschaftlichen Relevanz entfernt?

Die Fusion von zwei Wasserstoffkernen (Deuterium und Tritium) zu Helium setzt große Mengen an Energie frei – dies ist im Prinzip derselbe Vorgang, der im Inneren der Sonne und der Sterne stattfindet. Damit Kernfusion auch unter irdischen Maßstäben gelingt, benötigen die involvierten Atome sehr hohe kinetische Energie und damit hohe Geschwindigkeit. Diese erreicht man durch hohe Temperaturen von über 100 Millionen Grad Celsius.

Kein Material der Erde hält aber solchen Temperaturen stand. Deshalb muss das System thermisch von der Umgebung isoliert werden, da jeder Kontakt zu einem anderen Material, z.B. einer Wand, das Wasserstoffgas, das in Form von Plasma vorliegt, sofort abkühlen und damit den Fusionsprozess beenden würde.

In einem Magnetfusionsreaktor – der nach aktuellem technischen Stand fortgeschrittenste experimentelle Reaktortyp – wird das Wasserstoffplasma deshalb von einem starken Magnetfeld in der Schwebe gehalten und dadurch vom Kontakt zur Umgebung isoliert.

Der Energieaufwand für diese Reaktionsbedingungen ist immens, doch es ist theoretisch möglich, einen Netto-Energiegewinn aus der Kernfusion zu erhalten. Aus diesem Grund werden weltweit zahlreiche Fusionsreaktoren auf dieser Basis zu Forschungszwecken betrieben. In dem mit einem Volumen von 80m³ aktuell größten Reaktor JET in Großbritannien gelang Ende 2023 die bisher bedeutsamste Ausbeute, nämlich 69 Megajoule über einen Zeitraum von fünf Sekunden. Das entspricht der Energiemenge von fünf Kilogramm Holz. Seit 2007 ist in Frankreich ITER, ein mit 840m³ weitaus größerer Reaktor, in Bau. Mit seiner Fertigstellung ist erst nach 2035 zu rechnen, die Kosten dieser Anlage liegen bei über 20 Milliarden Euro.

Trotzdem die Forschung an Fusionsreaktoren intensiv und mit hohen Investitionen betrieben wird: Kernfusion ist Grundlagenforschung. Das heißt, sie kann bisher weder kontinuierlich noch effizient durchgeführt werden. Es wird in den nächsten Jahrzehnten keine wirtschaftlich nur annähernd sinnvolle Energiegewinnung aus Kernfusion geben. Das optimistische Ziel des ITER-Projekts ist es, bis Mitte des Jahrhunderts den ersten Fusionsreaktor mit einer Leistung von 1 GW betreiben zu können. Damit würde seine Leistung in der Größenordnung moderner Kernspaltungskraftwerke liegen.

Ob dieses Ziel überhaupt erreicht wird, ist alles andere als gewiss. Und selbst wenn: es wird noch Jahrzehnte und viele Milliarden an Investitionen brauchen, bis ein nennenswerter Betrag an Fusionsenergie in die Netze eingespeist werden kann. Zugleich will die EU bis 2050 bereits klimaneutral sein. Für die Energiewende kommt die Kernfusion deshalb zu spät. Für diese müssen bereits funktionierende saubere Technologien, die erneuerbare Energiequellen nutzen, realisiert werden. Denn jede Investition in erneuerbare Energien liefert sofort einen aktiven Beitrag zur fossilen Dekarbonisierung der Energieerzeugung.  

 

Quelle: Max-Planck-Institut 2024: Kernfusion Stand und Perspektiven